SinoNet: 德國政治文化刊物cicero本周刊專訪Biograf von Liu Xiaobo: „Twitter ist unsere wichtigste Waffe「推特將戰胜屏蔽」

Jacqueline and Martin Winter dujuan99 at gmail.com
Mo Dez 20 08:26:05 CET 2010


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            Bei Ling, der Biograf des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo
           
       
     
Biograf von Liu Xiaobo: „Twitter ist unsere wichtigste Waffe“
Interview mit Bei Ling

Er ist ein enger Weggefährte Liu Xiaobos, gerade hat er dessen Biografie veröffentlicht. Der Schriftsteller und Exil-Dissident Bei Ling im Interview über Zivilcourage in der Diktatur, die kuriosen Essgewohnheiten des Friedensnobelpreisträgers und Twitter als wichtigste Waffe der chinesischen Bürgerrechtler.

Sie sind seit 25 Jahren mit Liu Xiaobo befreundet und haben gerade seine Biografie veröffentlicht. Dort beschreiben Sie ihn wunderbar, als manischen, Kette rauchenden Literaten, der ununterbrochen wild gestikulierend diskutiert. Was können Sie uns noch über ihn erzählen? 
Er ist ein höchst liebenswerter Kerl, aber er duscht sehr ungern. 1989 haben wir uns eine Wohnung in New York geteilt und damals musste ich ihn geradezu zwingen, in die Dusche zu steigen, es war kaum auszuhalten. Dann steht er da, philosophiert über Nietzsche und hört gleichzeitig nicht auf, die trivialsten Fragen zu stellen, über die Natur des Kaffees oder den Keks an sich. Sehr komisch. Er liebt Fleisch und Junk Food, besonders Hamburger, mit gesundem Essen hat er es nicht so. Außerdem geht er nie vor 4 Uhr morgens ins Bett und steigt nie vor der Mittagszeit wieder heraus. Und er hält die asiatische Literatur für dumm. Stattdessen liest er Gabriel Garcia Marquez und Camus und neuerdings auch Paul Celan. Fernsehen dagegen hat er aus Prinzip nie geschaut. Nur für Fußball hat er eine Ausnahme gemacht.

Vergangene Woche wurde Liu Xiaobo der Nobelpreis verliehen, was gewisser Weise auch eine Verbeugung vor der chinesischen Bürgerrechtsbewegung war, der auch Sie aus dem Exil angehören. Was bedeutet Ihnen das? 
Mehr als sie denken. Ich habe mir die Verleihung im Fernsehen angeschaut und dabei geweint. Aus Freude, aber auch beim Blick auf den leeren Stuhl meines Freundes, der in China im Gefängnis sitzt. Zugegeben, ein bisschen neidisch bin ich schon auf seinen Preis. Zum Glück hat er ihn für seine Friedensarbeit und nicht für die Literatur bekommen. Das hätte mich als Schriftsteller völlig fertig gemacht. Nein, in Wahrheit bin ich tieftraurig über seine Haft. Niemand weiß, wie lange sie ihn noch einsperren werden. Das macht auch kein Nobelpreis wett.

Xiaobo ging 1989 von den USA zurück nach China, um an der Protestbewegung teilzunehmen. Sie hatten versprochen nachzukommen. Am Ende war Ihnen die Freiheit wichtiger. Ist das nicht merkwürdig, jetzt stellvertretend für den eingekerkerten Freund mit dessen Biografie durch die Welt zu tingeln? 
Ein merkwürdiges Gefühl, definitiv, insbesondere weil wir praktisch keinen Kontakt mehr haben. Gelegentlich haben wir uns noch Briefe geschrieben, das letzte Mal persönlich gesehen haben wir uns vor zehn Jahren. Und unser letztes Telefonat vor drei Jahren war höchst merkwürdig. Auf einmal nannte er mich „Mister Bei Ling“. Ich war stinksauer. Wir waren einmal so enge Freunde und auf einmal siezt er mich. Ich konnte ihn seitdem nie wieder sprechen. Er weiß noch nicht einmal, dass ich gerade hier in Deutschland bin.

Sie selbst dürfen als Regimekritiker nicht nach China zurückkehren und pendeln als Exilant zwischen den USA und Taiwan. Wie ist das, aus der eigenen Heimat vertrieben worden zu sein? 
Ich liebe China und ich vermisse es zutiefst. Meine Freunde, meine Familie. Ich sehne mich so unendlich danach, mich in China an einem milden Abend aufs Fahrrad zu setzen und in meine alte Nachbarschaft zu fahren. Ich stelle mir dann vor, dort, ohne mich vorher anzukündigen, an die Türen meiner alten Freunde klopfen und „Überraschung!“ zu rufen. Das ist mein Traum. Und ich stelle mir immer den Herbst in Peking vor, wenn sie wüssten, wie wunderschön das ist. Immer scheint die Sonne und die Farben schillern so prachtvoll in den Bäumen. Oh, ich liebe den Herbst und den Winter in China.

Wie lange waren Sie nicht mehr in China? 
Zehn Jahre. Letzten November habe ich es wieder versucht. Am Flughafen haben sie mich abgefangen und direkt zurückgeschickt. Durch die Flughafenfenster sah ich die Wälder, den Schnee und den alten Berg über Peking. Ich habe angefangen zu weinen. Vor zehn Jahren dachte ich noch, dieses Regime hält sich keine Dekade mehr. Aber es ist immer noch da. Ich will mir gar nicht vorstellen, dass es noch zwanzig Jahre länger existiert. Aber vielleicht ändert sich ja bald etwas. Es müssen ja nicht sofort freie Wahlen sein, solange die Menschen nur ohne Angst sagen können, was sie wollen. Redefreiheit ist so viel wichtiger als Wahlfreiheit. Es ist so absurd, ich bin 2000 im Gefängnis gelandet, weil ich meine eigenes, privates Literaturmagazin herausgegeben habe. 

Nachdem Sie selbst das Gefängnis in China erlebt haben: Wie muss man sich heute Liu Xiaobos Haftbedingungen vorstellen? 
Für die meisten Leute sind die Haftbedingungen unmenschlich, aber Lius Lage ist wohl halbwegs erträglich, schon wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit. Er wird nicht mehr geschlagen und das Essen reicht einigermaßen. Früher war es ganz normal, im chinesischen Gefängnis zu hungern, es gab nie genug, um sich satt zu essen. Und Liu darf heute jeden Tag eine Stunde im vergitterten Innenhof im Kreis spazieren. So sieht er wenigstens einmal Tageslicht. Zu meiner Zeit habe ich die Sonne nie gesehen. Und in meiner Zelle saßen damals etwa 17 Schwerverbrecher, Liu teilt sich ein Zimmer lediglich mit vier anderen. 

Wie lange waren Sie im Gefängnis? 
Glücklicherweise nur 15 Tage, weil vor allem die Amerikaner intervenierten, auch nachdem Leute wie Günther Grass und Susan Sonntag sich öffentlich für meine Freilassung stark gemacht haben. Liu sitzt dagegen ja schon seit 2009. 

Die Vergabe des Nobelpreises ist für viele chinesische Intellektuelle ein zweischneidiges Schwert. Einerseits haben die Dissidenten nun die Aufmerksamkeit der ganzen Welt, andererseits hat China seit der Nominierung die Schrauben kräftig angezogen. Hat der Preis dem Freiheitskampf wirklich geholfen? 
Nun, kurzfristig sicher nicht, weil die Regierung mit aller Gewalt gegen die Freiheitsbewegung kämpft. Sie haben das Gefühl, das Gesicht verloren zu haben, das macht sie im Moment so gefährlich wie ein verwundetes Stück Wild. Mehr als 200 Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler haben Ausreiseverbot, Leute wie ich dürfen nicht ins Land. Aber in China wussten vor dem Nobelpreis vielleicht zwei Prozent von Liu Xiaobo, heute sind es sicherlich 20 Prozent. In der ersten Woche der Bekanntgabe sind die Leute in die Restaurants gegangen, um zu feiern, sie haben vor dem Gerichtssaal protestiert, unzählige Unterstützer sind auf die Straßen gegangen. Das alles hat die Regierung mit Militärgewalt unterbunden, die Straßen sind geräumt, von außen betrachtet ist es mucksmäuschenstill im Land. Aber im Inneren brodelt es, besonders an den Universitäten, dort wird über nichts anderes gesprochen. Das alles wird die Regierung langfristig nicht kontrollieren können. 

Fernsehen, Zeitungen, selbst Teile des Internets werden vom Regime kontrolliert. Wie kommuniziert das Volk denn miteinander? 
Über SMS und Mundpropaganda, vor allem aber über Twitter. Diesen Kanal kann der Staat nicht blockieren, er ist unsere wichtigste Waffe. Außerdem haben schon längst Millionen die staatliche Internet-Blockade gehackt, mit einem Hackerprogramm, das momentan im Land kursiert. Vor zwanzig Jahren hätte die Regierung die Menschen endgültig isoliert. Heute? Keine Chance mehr.

In den letzten Wochen und Monaten gelangte durch den Nobelpreis Liu Xiaobo in die Massenmedien der ganzen Welt. Macht Ihnen das Hoffnung? 
Die chinesische Regierung hat sich momentan auf stur gestellt. Jetzt kommt es darauf an, dass insbesondere der Westen das Regime als kriminelle Diktatur ahndet. Er müsste sich so einmischen, wie er es früher getan hat. Wie gesagt, Madeleine Albright hat vor zehn Jahren noch dafür gesorgt, dass ich aus dem Gefängnis kam. Seit dem 11. September aber haben die USA China zum Partner im Kampf gegen den Terror gemacht hat. Die Terroristenjagd ist dem Westen wichtiger als die Menschenrechtslage in China. Und mit der wachsenden Wirtschaftskraft Chinas schrumpft der Mut der westlichen Welt zusätzlich. Dabei müsste die Welt heute Druck machen, mehr denn je.

Welche Voraussetzung braucht ein Mensch eigentlich, um den Mut zu haben, gegen eine Diktatur aufzustehen? Wie bringt man Kindern Zivilcourage bei, die dem Druck eines totalitären Regimes standhält? 
Die wichtigsten Grundvoraussetzungen sind, glaube ich, intakte Familien. Das sind die Keimzellen der Zivilcourage. Väter müssen ihrem Kindern Vorbilder im Mut sein und Mentoren im Geist der Freiheit. Schon die Schulen und Universitäten werden von der Regierung kontrolliert, aber Familien können sie nicht überwachen. Genauso wenig wie funktionierende, belastbare Freundschaften. In China wird so viel von Freund zu Freund ausgetauscht, solche Netzwerke sind unersetzlich.

Als Dissident in einem Land wie China ist gleichzeitig die Familie doch immer der verletzlichste Punkt jeder Biografie. Lassen sich Familie und Widerstand, der immer auch ein Himmelfahrtskommando ist, überhaupt vereinbaren? 
Wenn es einmal so weit ist, muss man entweder das eine oder das andere aufgeben. Ich habe zum Beispiel praktisch keinen Kontakt mit meinen Eltern mehr. Sie haben mich gebeten, nicht mehr anzurufen, aus Angst vor Repressalien. Und Liu Xiaobo erlebt es noch schlimmer. Seine erste Frau und sein Sohn haben das Land verlassen, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Und seine zweite Frau steht ohne Telefon oder Internet unter Hausarrest – sie wurde völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Keiner weiß, wie lange noch. Liu hat mir einmal gesagt, er schämt sich so für das Unglück seiner Frau. Selbst seine Eltern und sein jüngerer Bruder haben aus Angst aufgehört, ihn im Gefängnis zu besuchen.

Teilen Sie eigentlich Liu Xiaobos Vision über die Zukunft Chinas? 
Wissen Sie, Liu ist ein sehr politischer Kopf. Die Reformideen, die Liu zusammen mit anderen Intellektuellen in der Charta 08 beschrieben hat, sind eine extrem komplexe Angelegenheit. Das ist auch richtig so, denn China ist unvergleichlich, Reformideen von Ländern wie der Tschechischen Republik lassen sich nicht einfach auf uns übertragen. Und obwohl es eine großartige, wunderschöne Vision ist: Mir persönlich ist die Charta 08 fast schon zu technisch. Ich bin völlig einverstanden, aber ich hätte all dies nie entwerfen können. Ich bin nur Poet.

Wenn die Reformideen der Charta 08 selbst dem Poeten zu komplex sind, wie überzeugt Sie dann die Bevölkerung, die Arbeiter? 
Nun, das hängt immer davon ab, wer sie ihnen vermittelt. Wer das beispielsweise wunderbar kann, ist der Künstler Ai Wei Wei, der ein ganz inniges Verhältnis zu den Bauern, Arbeitern und einfachen Leuten hat. Und zum Rest Chinas ebenfalls, eine halbe Millionen Chinesen folgen seinen Tweets auf Twitter. Ich finde, Liu Xiaobo kann sich noch einiges von ihm abschauen.

Danke sehr für das Gespräch! 

Das Interview führte Constantin Magnis.

Bei Ling: Der Freiheit geopfert – Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo von Bei Ling. riva Verlag 2010, ISBN 978-3-86883-134-4, Preis: 19,95 Euro


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