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<TD>Bei Ling, der Biograf des Friedensnobelpreisträgers Liu
Xiaobo<BR></TD></TR></TBODY></TABLE></TD>
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face="Times New Roman"><SPAN class=header>Biograf von Liu Xiaobo: „<SPAN
class=red><FONT color=#990000>Twitter</FONT></SPAN> ist unsere wichtigste
Waffe“</SPAN><BR></FONT></FONT><FONT color=#990000><SPAN class=red>Interview mit
Bei Ling</SPAN><BR><BR></FONT><STRONG><FONT color=#990000><SPAN class=boldRed>Er
ist ein enger Weggefährte Liu Xiaobos, gerade hat er dessen Biografie
veröffentlicht. Der Schriftsteller und Exil-Dissident Bei Ling im Interview über
Zivilcourage in der Diktatur, die kuriosen Essgewohnheiten des
Friedensnobelpreisträgers und Twitter als wichtigste Waffe der chinesischen
Bürgerrechtler.</SPAN><BR><BR></FONT>Sie sind seit 25 Jahren mit Liu Xiaobo
befreundet und haben gerade seine Biografie veröffentlicht. Dort beschreiben Sie
ihn wunderbar, als manischen, Kette rauchenden Literaten, der ununterbrochen
wild gestikulierend diskutiert. Was können Sie uns noch über ihn erzählen?
</STRONG><BR>Er ist ein höchst liebenswerter Kerl, aber er duscht sehr ungern.
1989 haben wir uns eine Wohnung in New York geteilt und damals musste ich ihn
geradezu zwingen, in die Dusche zu steigen, es war kaum auszuhalten. Dann steht
er da, philosophiert über Nietzsche und hört gleichzeitig nicht auf, die
trivialsten Fragen zu stellen, über die Natur des Kaffees oder den Keks an sich.
Sehr komisch. Er liebt Fleisch und Junk Food, besonders Hamburger, mit gesundem
Essen hat er es nicht so. Außerdem geht er nie vor 4 Uhr morgens ins Bett und
steigt nie vor der Mittagszeit wieder heraus. Und er hält die asiatische
Literatur für dumm. Stattdessen liest er Gabriel Garcia Marquez und Camus und
neuerdings auch Paul Celan. Fernsehen dagegen hat er aus Prinzip nie geschaut.
Nur für Fußball hat er eine Ausnahme gemacht.<BR><BR><B>Vergangene Woche wurde
Liu Xiaobo der Nobelpreis verliehen, was gewisser Weise auch eine Verbeugung vor
der chinesischen Bürgerrechtsbewegung war, der auch Sie aus dem Exil angehören.
Was bedeutet Ihnen das? </B><BR>Mehr als sie denken. Ich habe mir die Verleihung
im Fernsehen angeschaut und dabei geweint. Aus Freude, aber auch beim Blick auf
den leeren Stuhl meines Freundes, der in China im Gefängnis sitzt. Zugegeben,
ein bisschen neidisch bin ich schon auf seinen Preis. Zum Glück hat er ihn für
seine Friedensarbeit und nicht für die Literatur bekommen. Das hätte mich als
Schriftsteller völlig fertig gemacht. Nein, in Wahrheit bin ich tieftraurig über
seine Haft. Niemand weiß, wie lange sie ihn noch einsperren werden. Das macht
auch kein Nobelpreis wett.<BR><BR><B>Xiaobo ging 1989 von den USA zurück nach
China, um an der Protestbewegung teilzunehmen. Sie hatten versprochen
nachzukommen. Am Ende war Ihnen die Freiheit wichtiger. Ist das nicht
merkwürdig, jetzt stellvertretend für den eingekerkerten Freund mit dessen
Biografie durch die Welt zu tingeln? </B><BR>Ein merkwürdiges Gefühl, definitiv,
insbesondere weil wir praktisch keinen Kontakt mehr haben. Gelegentlich haben
wir uns noch Briefe geschrieben, das letzte Mal persönlich gesehen haben wir uns
vor zehn Jahren. Und unser letztes Telefonat vor drei Jahren war höchst
merkwürdig. Auf einmal nannte er mich „Mister Bei Ling“. Ich war stinksauer. Wir
waren einmal so enge Freunde und auf einmal siezt er mich. Ich konnte ihn
seitdem nie wieder sprechen. Er weiß noch nicht einmal, dass ich gerade hier in
Deutschland bin.<BR><BR><B>Sie selbst dürfen als Regimekritiker nicht nach China
zurückkehren und pendeln als Exilant zwischen den USA und Taiwan. Wie ist das,
aus der eigenen Heimat vertrieben worden zu sein? </B><BR>Ich liebe China und
ich vermisse es zutiefst. Meine Freunde, meine Familie. Ich sehne mich so
unendlich danach, mich in China an einem milden Abend aufs Fahrrad zu setzen und
in meine alte Nachbarschaft zu fahren. Ich stelle mir dann vor, dort, ohne mich
vorher anzukündigen, an die Türen meiner alten Freunde klopfen und
„Überraschung!“ zu rufen. Das ist mein Traum. Und ich stelle mir immer den
Herbst in Peking vor, wenn sie wüssten, wie wunderschön das ist. Immer scheint
die Sonne und die Farben schillern so prachtvoll in den Bäumen. Oh, ich liebe
den Herbst und den Winter in China.<BR><BR><B>Wie lange waren Sie nicht mehr in
China? </B><BR>Zehn Jahre. Letzten November habe ich es wieder versucht. Am
Flughafen haben sie mich abgefangen und direkt zurückgeschickt. Durch die
Flughafenfenster sah ich die Wälder, den Schnee und den alten Berg über Peking.
Ich habe angefangen zu weinen. Vor zehn Jahren dachte ich noch, dieses Regime
hält sich keine Dekade mehr. Aber es ist immer noch da. Ich will mir gar nicht
vorstellen, dass es noch zwanzig Jahre länger existiert. Aber vielleicht ändert
sich ja bald etwas. Es müssen ja nicht sofort freie Wahlen sein, solange die
Menschen nur ohne Angst sagen können, was sie wollen. Redefreiheit ist so viel
wichtiger als Wahlfreiheit. Es ist so absurd, ich bin 2000 im Gefängnis
gelandet, weil ich meine eigenes, privates Literaturmagazin herausgegeben habe.
<BR><BR><B>Nachdem Sie selbst das Gefängnis in China erlebt haben: Wie muss man
sich heute Liu Xiaobos Haftbedingungen vorstellen? </B><BR>Für die meisten Leute
sind die Haftbedingungen unmenschlich, aber Lius Lage ist wohl halbwegs
erträglich, schon wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit. Er wird nicht mehr
geschlagen und das Essen reicht einigermaßen. Früher war es ganz normal, im
chinesischen Gefängnis zu hungern, es gab nie genug, um sich satt zu essen. Und
Liu darf heute jeden Tag eine Stunde im vergitterten Innenhof im Kreis
spazieren. So sieht er wenigstens einmal Tageslicht. Zu meiner Zeit habe ich die
Sonne nie gesehen. Und in meiner Zelle saßen damals etwa 17 Schwerverbrecher,
Liu teilt sich ein Zimmer lediglich mit vier anderen. <BR><BR><B>Wie lange waren
Sie im Gefängnis? </B><BR>Glücklicherweise nur 15 Tage, weil vor allem die
Amerikaner intervenierten, auch nachdem Leute wie Günther Grass und Susan
Sonntag sich öffentlich für meine Freilassung stark gemacht haben. Liu sitzt
dagegen ja schon seit 2009. <BR><BR><B>Die Vergabe des Nobelpreises ist für
viele chinesische Intellektuelle ein zweischneidiges Schwert. Einerseits haben
die Dissidenten nun die Aufmerksamkeit der ganzen Welt, andererseits hat China
seit der Nominierung die Schrauben kräftig angezogen. Hat der Preis dem
Freiheitskampf wirklich geholfen? </B><BR>Nun, kurzfristig sicher nicht, weil
die Regierung mit aller Gewalt gegen die Freiheitsbewegung kämpft. Sie haben das
Gefühl, das Gesicht verloren zu haben, das macht sie im Moment so gefährlich wie
ein verwundetes Stück Wild. Mehr als 200 Intellektuelle, Künstler und
Wissenschaftler haben Ausreiseverbot, Leute wie ich dürfen nicht ins Land. Aber
in China wussten vor dem Nobelpreis vielleicht zwei Prozent von Liu Xiaobo,
heute sind es sicherlich 20 Prozent. In der ersten Woche der Bekanntgabe sind
die Leute in die Restaurants gegangen, um zu feiern, sie haben vor dem
Gerichtssaal protestiert, unzählige Unterstützer sind auf die Straßen gegangen.
Das alles hat die Regierung mit Militärgewalt unterbunden, die Straßen sind
geräumt, von außen betrachtet ist es mucksmäuschenstill im Land. Aber im Inneren
brodelt es, besonders an den Universitäten, dort wird über nichts anderes
gesprochen. Das alles wird die Regierung langfristig nicht kontrollieren können.
<BR><BR><B>Fernsehen, Zeitungen, selbst Teile des Internets werden vom Regime
kontrolliert. Wie kommuniziert das Volk denn miteinander? </B><BR>Über SMS und
Mundpropaganda, vor allem aber über Twitter. Diesen Kanal kann der Staat nicht
blockieren, er ist unsere wichtigste Waffe. Außerdem haben schon längst
Millionen die staatliche Internet-Blockade gehackt, mit einem Hackerprogramm,
das momentan im Land kursiert. Vor zwanzig Jahren hätte die Regierung die
Menschen endgültig isoliert. Heute? Keine Chance mehr.<BR><BR><B>In den letzten
Wochen und Monaten gelangte durch den Nobelpreis Liu Xiaobo in die Massenmedien
der ganzen Welt. Macht Ihnen das Hoffnung? </B><BR>Die chinesische Regierung hat
sich momentan auf stur gestellt. Jetzt kommt es darauf an, dass insbesondere der
Westen das Regime als kriminelle Diktatur ahndet. Er müsste sich so einmischen,
wie er es früher getan hat. Wie gesagt, Madeleine Albright hat vor zehn Jahren
noch dafür gesorgt, dass ich aus dem Gefängnis kam. Seit dem 11. September aber
haben die USA China zum Partner im Kampf gegen den Terror gemacht hat. Die
Terroristenjagd ist dem Westen wichtiger als die Menschenrechtslage in China.
Und mit der wachsenden Wirtschaftskraft Chinas schrumpft der Mut der westlichen
Welt zusätzlich. Dabei müsste die Welt heute Druck machen, mehr denn
je.<BR><BR><B>Welche Voraussetzung braucht ein Mensch eigentlich, um den Mut zu
haben, gegen eine Diktatur aufzustehen? Wie bringt man Kindern Zivilcourage bei,
die dem Druck eines totalitären Regimes standhält? </B><BR>Die wichtigsten
Grundvoraussetzungen sind, glaube ich, intakte Familien. Das sind die Keimzellen
der Zivilcourage. Väter müssen ihrem Kindern Vorbilder im Mut sein und Mentoren
im Geist der Freiheit. Schon die Schulen und Universitäten werden von der
Regierung kontrolliert, aber Familien können sie nicht überwachen. Genauso wenig
wie funktionierende, belastbare Freundschaften. In China wird so viel von Freund
zu Freund ausgetauscht, solche Netzwerke sind unersetzlich.<BR><BR><B>Als
Dissident in einem Land wie China ist gleichzeitig die Familie doch immer der
verletzlichste Punkt jeder Biografie. Lassen sich Familie und Widerstand, der
immer auch ein Himmelfahrtskommando ist, überhaupt vereinbaren? </B><BR>Wenn es
einmal so weit ist, muss man entweder das eine oder das andere aufgeben. Ich
habe zum Beispiel praktisch keinen Kontakt mit meinen Eltern mehr. Sie haben
mich gebeten, nicht mehr anzurufen, aus Angst vor Repressalien. Und Liu Xiaobo
erlebt es noch schlimmer. Seine erste Frau und sein Sohn haben das Land
verlassen, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Und seine zweite Frau steht
ohne Telefon oder Internet unter Hausarrest – sie wurde völlig von der Außenwelt
abgeschnitten. Keiner weiß, wie lange noch. Liu hat mir einmal gesagt, er schämt
sich so für das Unglück seiner Frau. Selbst seine Eltern und sein jüngerer
Bruder haben aus Angst aufgehört, ihn im Gefängnis zu besuchen.<BR><BR><B>Teilen
Sie eigentlich Liu Xiaobos Vision über die Zukunft Chinas? </B><BR>Wissen Sie,
Liu ist ein sehr politischer Kopf. Die Reformideen, die Liu zusammen mit anderen
Intellektuellen in der Charta 08 beschrieben hat, sind eine extrem komplexe
Angelegenheit. Das ist auch richtig so, denn China ist unvergleichlich,
Reformideen von Ländern wie der Tschechischen Republik lassen sich nicht einfach
auf uns übertragen. Und obwohl es eine großartige, wunderschöne Vision ist: Mir
persönlich ist die Charta 08 fast schon zu technisch. Ich bin völlig
einverstanden, aber ich hätte all dies nie entwerfen können. Ich bin nur
Poet.<BR><BR><B>Wenn die Reformideen der Charta 08 selbst dem Poeten zu komplex
sind, wie überzeugt Sie dann die Bevölkerung, die Arbeiter? </B><BR>Nun, das
hängt immer davon ab, wer sie ihnen vermittelt. Wer das beispielsweise wunderbar
kann, ist der Künstler Ai Wei Wei, der ein ganz inniges Verhältnis zu den
Bauern, Arbeitern und einfachen Leuten hat. Und zum Rest Chinas ebenfalls, eine
halbe Millionen Chinesen folgen seinen Tweets auf Twitter. Ich finde, Liu Xiaobo
kann sich noch einiges von ihm abschauen.<BR><BR><B>Danke sehr für das Gespräch!
</B><BR><BR><B>Das Interview führte Constantin Magnis.</B><BR><BR>Bei Ling: Der
Freiheit geopfert – Die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo von
Bei Ling. riva Verlag 2010, ISBN 978-3-86883-134-4, Preis: 19,95
Euro<BR><BR><BR></BODY></HTML>